Kinder müssen bedarfsgerecht medizinisch in einem zeitlich und fachlich angemessen Umfang behandelt werden können
Berlin, 20. Dezember 2023. In den vergangenen Monaten hat sich eine alarmierende Situation in Bezug auf die Gesundheitsversorgung von Kindern entwickelt, die unter Paukenergüssen und Mittelohrentzündungen leiden. Dazu weist das Aktionsbündnis Patientensicherheit (APS) auf die Gefährdung von Kindeswohl hin, mahnt zu lange Wartezeiten für Facharzt- und OP-Termine sowie die Verfügbarkeit von Antibiotika an und verweist auf mögliche lebenslange Spätschäden.
Dr. Ruth Hecker, Dr. Christian Deindl und Joachim Maurice Mielert aus dem Geschäftsführenden Vorstand des Aktionsbündnis Patientensicherheit wenden sich mit einem Appell an die zuständigen Institutionen, darunter das Bundesministerium für Gesundheit, die Kassenärztliche Vereinigung, die Krankenkassen, den GKV-Spitzenverband, die zuständigen Fachverbände und die zuständigen Verbände für die Lieferung von Arzneimitteln:
„Die Kombination von Paukenergüssen und Mittelohrentzündungen erfordert eine zeitnahe medizinische Intervention, um Komplikationen zu vermeiden und das Wohlbefinden der betroffenen Kinder zu gewährleisten. Eltern haben aktuell Schwierigkeiten, rechtzeitig einen Termin zu erhalten, um ihre Kinder von qualifizierten Fachleuten untersuchen zu lassen. Eine Behandlung mit einer erforderlichen Paukenröhrchen-OP erfordere in Ballungszentren eine Wartezeit von einem Jahr oder darüber, erzählen Betroffene. Eine weitere beunruhigende Tatsache ist die eingeschränkte Verfügbarkeit von Antibiotika, die als wichtiger Teil der Behandlung gegen bakteriell verursachte Innenohrentzündungen eingesetzt werden. Eltern berichten, dass in vielen Fällen keine ausreichende Menge oder gar keine Antibiotika verfügbar sind.
Wir fordern die Zuständigen dringend dazu auf, Maßnahmen zu ergreifen, um die Wartezeiten zu verkürzen und sicherzustellen, dass ausreichend Medikamente zur Verfügung stehen. Eltern sollten in der Lage sein, sich darauf verlassen zu können, dass ihre Kinder bei gesundheitlichen Problemen sofortige Aufmerksamkeit und angemessene Behandlung erhalten.
Der Mangel an zeitnahen Terminen und Medikamenten beeinträchtigt nicht nur die individuelle Gesundheit der betroffenen Kinder, sondern gefährdet die Patientensicherheit. Die verantwortlichen Stellen sind aufgerufen, umgehend Schritte zu unternehmen, um diese Herausforderungen anzugehen und sicherzustellen, dass die Gesundheitsversorgung für Kinder zeitnah und sicher erfolgt.
Das festgestellte Ausmaß ist Ausdruck einer aus den Rudern gelaufenen Ökonomisierung unseres Gesundheitswesens. Eine davon betroffene und besonders vulnerable Patientengruppe sind Kinder.
Hier und jetzt muss ein Konsens gefunden werden, wie – nicht nur – Kinder wieder bedarfsgerecht medizinisch in einem zeitlich und fachlich angemessen Umfang behandelt werden können. Und Praxen und Kliniken gleichzeitig für ihre medizinischen Leistungen angemessen vergütet werden.
Nur den Global Patient Safety Action – Plan 2021 – 2030 der WHO vor sich herzutragen und es untätig bei den aufgezeigten Versorgungsdefiziten zu belassen, widerspricht dem Selbstverständnis des APS: „Die Eliminierung aller vermeidbaren Patientenschäden allein ist bedauerlicherweise kein ausreichender Grundsatz für die Planung und Durchführung von bedarfsgerechter und sicherer Gesundheitsversorgung.“
Umfassende Patientensicherheit muss oberstes Entscheidungskriterium im deutschen Gesundheitswesen werden, um derartige Entwicklungen zu vermeiden. Denn keine Behandlung kann eine maximal fehlerhafte sein. Völlig inakzeptabel, wenn die Ursachen in überzogenen Sparmaßnahmen liegen, während die Gesamtausgaben trotzdem steigen und sich Folgekosten für mangelhafte Patientensicherheit der 50 Mrd. Euro-Grenze nähern. Durch eine verbesserte Sicherheitskultur und Fehlervermeidungsstrategie können exakt an dieser Schnittstelle enorme Fehlerkosten eingespart werden bei gleichzeitig sicherer Patientenversorgungsqualität.
Hier wiederholt das Aktionsbündnis Patientensicherheit zum Jahresende eine seiner Kernforderungen: Die Ernennung eines unabhängigen Bundesbeauftragten für Patientensicherheit. Das Aktionsbündnis Patientensicherheit ist der festen Überzeugung, dass Fehlentwicklungen wie am Beispiel der entwicklungs- und gesundheitsgefährdenden Lücken in der HNO-Versorgung von Kindern nicht dieses bedrohliche Ausmaß erreicht hätten, wenn frühzeitig von kompetenter Stelle der Grad an Patientengefährdung erkannt und problemorientiert angegangen worden wäre.
Dieser Vorschlag erfolgt passend zum aktuellen 75. Jubiläum der Proklamation der Menschenrechte. Zu diesen zählt das Recht auf medizinische Versorgung. Kinder genießen darüber hinaus das in der UN-Kinderrechtskonvention (1989) verbriefte Recht auf eine kindergerechte medizinische Versorgung. Wir brauchen in diesem konkreten Fall keine Zeitenwende, sondern eine zügige Seitenwende, nämlich auf die Seite erkrankter Kinder und deren besorgten Eltern.“
Über das Aktionsbündnis Patientensicherheit e. V. (APS):
Vertreter der Gesundheitsberufe, ihrer Verbände, der Patientenorganisationen sowie aus Industrie und Wirtschaft haben sich im Aktionsbündnis Patientensicherheit e. V. (APS zusammengeschlossen, um eine gemeinsame Plattform zur Verbesserung der Patientensicherheit in Deutschland aufzubauen. Zusammen entscheiden und tragen sie die Projekte und Initiativen des Vereins. Das APS wurde im April 2005 als gemeinnütziger Verein gegründet. Es setzt sich für eine sichere Gesundheitsversorgung ein und widmet sich der Erforschung, Entwicklung und Verbreitung dazu geeigneter Methoden. Patienteninformationen und Handlungsempfehlungen entstehen beim Aktionsbündnis Patientensicherheit durch Erarbeitung in ehrenamtlich tätigen Arbeitsgruppen zu unterschiedlichen Patientensicherheitsthemen, aus der Praxis für die Praxis, und bilden das Herzstück der Arbeit.
Pressekontakt beim Aktionsbündnis Patientensicherheit:
Aktionsbündnis Patientensicherheit e. V.
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